Technisches zu frühen Streichinstrumenten

 

Schon sehr frühe Darstellungen bzw. die archäologischen Funde von Teilen von mittelalterlichen Streichinstrumenten (Novgorod, 11. bis 15. Jh.) lassen darauf schliessen, dass Holzblöcke auf relativ grobe Art zu kalebassenförmigen Klangkörpern ausgehöhlt wurden. Als Decken dübelte oder leimte man entweder flache Brettchen (manchmal unter Spannung, indem man die Ränder tiefer setzte) daran oder man gestaltete die meist aus Nadelholz gestochene Decke auch mit einer sanften Wölbung aus, welche wesentlich schaler als die Bodenwölbung war.

Die zweitere Bauart wurde offensichtlich als die bessere empfunden, denn sie setzte sich bis auf den heutigen Tag beim Bau von Streichinstrumenten durch.

Der Vorteil: Akustisch ungünstige Schwingungsverhalten (sog. "Wolf-" oder "Bollertöne") sind bei gewölbt gestochenen Decken weniger oft zu beobachten. Zusätzlich kann diese Bauart mehr Saitendruck, welcher durch den Steg an die Decke weiter geleitet wird, abfangen.

 

Mit dem Vordringen der im Spanien des frühen 15. Jhts. entwickelten Bauart des Zusammenleimens von Einzelteilen nach ganz Europa (letzte Zeugnisse jener Bauart finde ich in den Gambendarstellungen um 1550 im Elsass und Bodensee-Raum) verbreitete sich auch die flache Decke. Der überwie-gende Teil von detaillierteren Darstellungen von Streichinstru-menten zwischen etwa 1450 und 1510 in Italien, in deutsch-sprachigen Ländern und in den Niederlanden zeigt eindeutig diese Konstruktion.

Ich habe nun im Sommer 2015 in meiner Werkstatt eine Versuchs-Serie mit unterschiedlich gebauten flachen Decken an der Proto-Violine durchgeführt, um die zur Wahl stehenden Bauarten und deren klangliche Resultate zu prüfen:

 

 

Ich bemühte mich um einen historischen Ansatz: Wenn die Instrumentenbauer, welche diese frühen Streichinstrumente herstellten, vom Zupfinstrumenten-Bau kamen, so galt es als erstes, in die flache Decke quer liegende Balken zu leimen und im Tonstudio zu testen:

 

 

Das Resultat ist wenig befriedigend - zu sehr bollern einzelne Töne und Intervalle und unterscheiden sich somit unerfreulich von den "guten" Tönen. 

Der nächste Versuch: ein Längsbalken zwischen den ff-Löchern und zwei kleinere, radial geleimte Balken als Reminiszenz an den Lautenbau:

 

 

... besser, aber noch nicht ausgeglichen.

Somit folgte ein weiterer Versuch: eine neue, noch stärker gearbeitete Decke wurde gehobelt und mit einem - leicht schräg liegenden Bassbalken versehen. Für all diese Versuche - wie auch später "in Betrieb" - hat das Instrument keinen Stimmstock. Das klangliche Ergebnis ist vielleicht nicht umwerfend, jedoch von den probierten Varianten die beste:

 

 

Eine oft diskutierte Frage ist die nach der Existenz eines Stimmstockes in frühen Streichinstrumenten. Hatten Streichinstrumente in den frühen Jahrhunderten Stimmstöcke?

Ohne eine letztlich beweisbare Wahrheit anbieten zu können darf darauf hingewiesen werden, dass es Belege gibt:

 

- Eine Darstellung aus dem 12. Jh. (Bachmann 1966, Abb. 57) zeigt an einer sog. "Achtform-Fidel" einen Steg, welcher an einer Seite ein langes Bein besitzt, welches im Schallloch verschwindet ... und offensichtlich auf den Boden des Korpus gestellt ist.

 

- Ein Foto einer Fidel-Darstellung von L. Signorelli (Casa Santa, Loreto) in Winternitz 1967 (plate 54a) zeigt unmissver-ständlich einen Stimmstock im bassseitigen c-Loch. Inzwischen wurde das Bild restauriert und beide cc-Löcher der Fidel erscheinen heute dem Betrachter tiefschwarz...

 

 

Meines Erachtens wird dieser Frage meist zu viel Bedeutung beigemessen. Ein Stimmstock bewirkt zwei Dinge: Er verstärkt den Klang des Streichinstruments leicht und er fokussiert auch dessen Klang. Wie wir oben gehört haben, ist die Frage nach einer Bebalkung bei Streichinstrumenten mit flacher Decke die wichtigere.

Ich habe bei meinen Studio-Aufnahmen im Sommer 2015 noch zwei Aufnahmen einer Fidel (einmal ohne und einmal mit Stimmstock unter gleichen Bedingungen) gemacht, um dem Interessierten einen Einblick zu geben: 

 

 

Ein meisterhaft wiedergegebenes Streichinstrument, wie wir es auf Raffaels 1514 entstandener "Hl. Cecilia" erkennen, kann uns viele Details zum Instrumentenbau der Epoche liefern: 

Die dargestellte Gambe weist etwa die Reifchen an den Zargen aussen auf, die gesprungene Decke lässt sehr genau erkennen, wie stark das Holz im mittleren Bereich ist und wie delikat dünn am Rand. Details wie Steg, Griffbrett, Wirbel oder Bogen können als Vorbild für eine Rekonstruktion dienen. 

Der Künstler hat die (vermutlich aus leicht geflammtem Ahorn gebogenen) Zargen mit einer spiegelnden Oberfläche darge-stellt, was auf einen zarten, goldgelben Lack schliessen lässt.